Nach vier Jahren Studium der Wissenschaften und Philosophie in München war ich, ach, so klug als wie zuvor – und floh. 22 Jahre alt, mit Nietzsches »Also sprach Zarathustra« im Gepäck und einem Buch über die Religionen Indiens, riss ich aus Europa aus in Richtung Asien, denn ich ahnte, dass die Asiaten etwas haben, was wir nicht haben. Das fand ich dann dort auch und wurde im Buddhismus heimisch, in den Sufi-Wegen, der Weisheit der Upanishaden und dem Advaita Vedanta und entdeckte, dass es die Mystik ist, was die Religionen in ihrem Kern ausmacht. 

Aber was ist mit meiner Heimat Europa? Wie kann ein so reicher, auch geistig reicher Kontinent wie Europa ohne diese Essenz des Menschlichen auskommen? Wie konnten Millionen von Menschen und ganze Kulturen jahrhundertelang in Religion oder Säkularismus erstarren, sich mit Halbwahrheiten abspeisen lassen und dabei das Tiefste vergessen, den Kern der condition humaine?

Humor als Fluchtweg

Dann stieß ich auf den Humor. Nein, nicht erst dann – Witze, Satire, Lach-Ekstasen und stilles Schmunzeln kannte und mochte ich schon vorher. Aber erst nach den Jahren der Praxis asiatischer Wege wurde mir klar, dass Humor der Zen Europas ist. Auch wenn alle menschlichen Kulturen Humor kennen und ihre je eigene kulturelle Ausprägung davon haben, so hat doch kein Kontinent dieses Gebiet zu solcher Feinheit – und tausend Varianten der Grobheit – ausreifen lassen wie Europa und dabei dieses Wissen und Können auch immer wieder politisch-umstürzlerisch radikal praktiziert wie mein Heimatkontinent. Taoismus, Chan und Zen waren nicht weniger radikal in ihrem Humor und auch die Heyoka-Clowns der Plains-Indianer, aber diese Kulturen – oder genauer die, in denen diese ‚Verrückten‘ beheimatet waren –, haben den Humor nicht so sehr zum Zentrum ihres Geisteslebens gemacht wie mein Heimatkontinent. Wo die Komödie inzwischen die höchste aller Kunstformen zu sein scheint, und in dem Europa-Ableger und heutigen Noch-Hegemon USA die satirischen Late-Night-Shows allmählich die Nachrichtensendungen ablösen, weil immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass ohne Humor eigentlich nichts mehr zu ertragen ist. Das Privatleben nicht und noch weniger die Politik und die Absurdität einer sinnentleerten Wirtschaft sind ohne ein sich davon distanzierendes Lachen zu ertragen. 

Komik und Tragik

Die Feinheit und Tiefe des jüdischen Humors sei in der Verfolgung entstanden, sagen Forscher. So wie der Galgenhumor – wenn sonst nichts mehr hilft, dann nur noch das: »Die Woche fängt ja gut an«, sagt der zum Tode Verurteilte, als er erfährt, dass er am Montag gehenkt werden soll. Vielleicht hat dieser Kontinent, in dem man ja nicht an jeder Ecke einen Sadhu oder Ashram findet und wo die Mythen eher säkulare waren, sich in den Humor retten müssen, um nicht zu verzweifeln. Dennoch sind viele verzweifelt, viel zu viele. Der Karneval allein genügt eben nicht. Solch ein kleines Reservat des Komisch-sein-Dürfens, und dann ist am Aschermittwoch wieder Schluss, das kann für eine nach Freiheit lechzende Seele nicht die Antwort sein.

Überhaupt dieses »Hier darf gelacht werden« über den Witzseiten der Zeitungen, das muss einen nach Ganzheit Strebenden doch herausfordern: Hier darf ich lachen und über den Rest nicht? Der echte, tiefe, nonduale Humor akzeptiert keine Grenze dessen, worüber gelacht werden darf. Alles ist belachbar, lächerlich, witzig, komisch und zugleich auch tragisch, schicksalhaft, unausweichlich von der Natur vorgegeben. Je nachdem, wie man drauf schaut. Die Komik liegt im Auge des Betrachters, die Tragik ebenso. 

Spielst du nur oder meinst du es ernst?

In den Seelen und Herzen der Menschen war der Narr wohl schon immer da. Als feste Figur im Theater und an den Höfen, als Clown im Zirkus und Narr im Kartenspiel jedoch kam er über den Tarot nach Europa. Die Spielkarten des Tarot sind der europäischen Geschichtsschreibung seit dem späten 14. Jahrhundert bekannt, vermutlich kamen sie über venezianische Händler aus Ägypten ins damalige Italien und von dort nach Frankreich und Deutschland. In diesen Karten spielt der Joker eine große Rolle. Er ist die Null, die Europa im Mittelalter noch nicht kannte – und kirchlicherseits nicht kennen durfte, nicht einmal damit rechnen durften die Händler und waren damit den Orientalen unterlegen, denn die Null galt den Christen als Einfallstor des Teufels. 

Zugleich ist der Narr Trumpf, die höchste Karte, denn er kann den Platz jeder anderen Karte einnehmen. Seine Chamäleonnatur macht ihn allen anderen Karten überlegen. Er ist ein Spieler, Schauspieler. So wie Zeus in einigen der griechischen Sagen oder im indischen Konzept des Leela, des göttlichen Spiels: Der Joker ist ein Avatar, er kann sich in jeder menschlichen Form verkörpern. Erst ist er niemand, und dann plötzlich, in der von ihm gewählten Form, ein Jemand. Das macht ihn zum Trumpf, aber auch verdächtig, man traut ihm nicht. Spielst du nur mit mir, oder meinst du es ernst? Wir wollen ja nicht jemandem auf den Leim gehen, der nur eine Rolle spielt. Wir wollen den echten Menschen in unserem Gegenüber treffen, die wahre Persönlichkeit. Aber wer ist das, diese wahre Persönlichkeit?

Innen hohl und leer

Wer bin ich? Dieser Frage hat der indische Weise Ramana Maharshi im 20. Jahrhundert unter Suchern aus dem Westen zu erneuter Popularität verholfen. Sie war aber schon immer präsent unter allen, die mit Schauspiel zu tun hatten. Sie war in Gauklern, Clowns und Komödianten präsent, in allen, die ein Spiel spielen, eine Maske aufsetzen, hinter der sich noch ein anderes Gesicht befindet, ein vielleicht wahreres. Oder ist es wie beim Schälen einer Zwiebel, dass nach der letzten Schicht gar nichts mehr da ist? Das ist jedenfalls der Kerngedanke des Buddha und auch des Advaita Vedanta. Du schälst und schälst und suchst und suchst und dann …. ist da nichts. So wie die Persönlichkeit des Narren. Außen viel Firlefanz, innen aber ist er hohl, leer.

Hier bin ich – ich kann nicht anders

Das erinnert mich an die Antwort einer Freundin, der ich die Freiheit des Narren, des Niemands, des Undefinierten und breit Inkarnierbaren angepriesen hatte als Moksha, Freiheit, Verwirklichung und höchstes Ziel der Heldenreise des Menschen. Auch wenn der Narr Trumpf ist, weil er alles sein kann, wolle sie an ihrer Seite, als Gefährten in ihrem Leben, keinen Narren haben, sondern einen Herzkönig, sagte sie. Ich wandte ein: Auch das kann der Narr! Er kann auch Herzkönig sein, denn er kann alles. Er kann als Herzkönig auch ein solcher bleiben, wenn er das will, so frei ist er! Bei einem Herzkönig mit Narrenseele ist für sie aber immer die Gefahr gegeben, dass er irgendwann zu einem anderen wird. Sie will lieber einen Herzkönig, der nicht anders kann als so zu sein, wie er ist. 

Jeder Jeck ist anders

Auch die unter uns, die den Weg der verrückten Weisheit gehen, des radikalen Humors und spirituellen Anarchismus, auch sie brauchen eine Heimatidentität. Dass auch diese Heimat fiktiv ist, das wissen sie. Darin unterscheiden sie sich von den Normalos, die noch an eine echte Persönlichkeit glauben, die ihnen zutiefst eigen ist. Aber auch sie, die Befreiten, brauchen eine Identitätsheimat, ein Nest, eine Kuschelzone der Ich-Identifizierung. Eine Adresse. Etwas, das sie unverkennbar macht, wiedererkennbar, unvergleichlich, einzigartig. 

Jeder Jeck ist anders, sagt man dazu im Rheinland. Wie tief, wie weise. Auch Europa hat es in sich. Vielleicht muss man gar nicht nach Asien weit gehen, um Weisheit zu finden. Die Türkei hatte ihren Mulla Nasruddin, Tibet seinen Drugpa Künleg, Japan seinen Ikkyū, die arabische Welt ihren in Leila verknallten Majnun – und wir in Europa haben Komiker, mitten in der säkularen Welt, die an der Oberfläche witzdienstleistende Hampelmänner sein mögen, in ihner Tiefe aber steckt der echte, tragikomische Narr.

 

 

Von der Freiheit, sich sowohl als tragisch wie als komisch empfinden zu können

Das Lachen über Objekte, speziell über menschliche Objekte, ist ein mächtiger sozialer Baumeister: Es grenzt die aus, über die gelacht wird und verbindet die miteinander, die gemeinsam über dieselben Objekte lachen, meint unser Autor Rainer Selbstzweck, dem wir diesmal den Leitartikel überließen.

Humor in seiner geistreichsten und liebevollsten Form ist es, sagt Rainer, wenn das Objekt meines Lachen zunächst, vor allem und auch am Ende ich selbst bin. Aus diesem Bezug zu sich selbst heraus entscheidet sich der Mensch, dem dies bewusst ist, für eine eher tragische oder eher komische Rolle im Leben

»Im Grunde bin ich eine tragische Figur, denn ich leide, und das meiste, was ich im Leben versuche, gelingt mir nicht«

Offenbar hat Freiheit etwas mit Komik zu tun. Schließlich ist der Joker im Kartenspiel die freieste Karte: Er kann überall hin, überall passt er

Und das ist es auch schon, was die Großen, die Heiligen und die Weisen mit dem Selbst, dem Zeugen und dem Nicht-Ich meinten

Von Rainer Selbstzweck

Mit dem Humor ist es so eine Sache – er versteckt sich gerne. Wer nach außen hin humorvoll ist, Witze macht, über dies und das lacht, der ist es innwendig manchmal gar nicht. Wenn ich mir die Sache jetzt mal aus der Perspektive des reinen Selbstzwecks ansehe, möchte ich zuallererst, dass es mir selbst gut geht. Und dazu brauche ich die anderen, euch: dass es auch euch gut geht. Folglich darf ich nicht über andere Menschen lachen – oder nur dann, wenn sie wissen, dass ich sie damit nicht ablehne und ausgrenze, sondern dabei eigentlich über mich selbst lache – über das, was ich an ihnen sehe, weil ich es bei mir selbst, wegen der zu großen Nähe zu mir selbst, nicht sehen kann.

Oh, wie tragisch!

Im Grunde bin ich eine tragische Figur, denn ich leide; das meiste, was ich im Leben versuche, gelingt mir nicht. Ab und zu klappt mal was, aber in den meisten Fällen scheitere ich. Selig sind die, die nur die Erfolge im Gedächtnis behalten. Ich selbst aber kann mich, Hand aufs Herz, auch an die anderen Ereignisse erinnern.

Wenn ich tiefer forsche, entdecke ich, dass ich mir immer dann selbst leid tue – also eine tragische Figur bin – wenn ich die Ursache meines Unglücks außen verorte. Vielleicht liegt sie ja wirklich außerhalb von mir – wie der Zeckenbiss, den ich mir im eigenen Garten geholt habe; der Auffahrunfall, bei dem mir jemand hinten rein gefahren ist; oder der Taschendieb, der mir am Hauptbahnhof beim Anrempeln meinen Geldbeutel gestohlen hat. Oder bei Krankheiten, die mich treffen, ohne dass ich sie mir durch eine ungesunde Lebensweise zugezogen hätte.

In allen diesen Fällen kann ich die außen verortete Ursache als solche dort stehen lassen und mir die Freiheit nehmen zu entscheiden, wie ich damit umgehe. Dann bin ich nicht mehr das Opfer der Umstände, und die Situation fängt an, ein bisschen komisch zu werden. Zumindest wird sie leichter erträglich.

Echte Zumutungen

Komisch finde ich mich selbst, wenn ich das, was ich gerade mache, wo auch immer, wann auch immer, als Auftritt erkenne, als meinen eigenen Auftritt auf der Bühne des Lebens. Dann weiß ich, dass ich auch anders sein könnte, und wenn mein Auftritt nicht die erwünschte soziale Resonanz erzeugt, kann ich ihn ändern. Ich kann ja auch anders! Ich komme nur so selten dazu. Bin ich dabei unecht? Nein, denn Echtheit ist nicht dasselbe wie die Hilflosigkeit des Nicht-anders-Könnens. Echt sein, authentisch sein, wahrhaftig heißt, dem sozialen Resonanzkörper, sei es ein Partner, Kind, Kollege, Publikum oder wer oder was auch immer – das zu zeigen, was jetzt gerade für mich wahr ist. Wenn möglich das Wichtigste davon, alles kann man ja nicht zeigen, schon aus zeitlichen Gründen. Und zwar unumwunden, aufs Wesentliche reduziert und in dem Maße, wie man es ihm, ihr, ihnen zumuten kann.

Ein bisschen komisch

Wenn ich diese Auftritten nicht martinlutherisch gestalte (»Hier stehe ich, ich kann nicht anders«), fühle ich mich damit freier, ja, komischer. Dann ist dieses Kribbeln in meinen Gliedern da, dieser Thrill des Daseins – lebendig zu sein, frei, ungezwungen. Und ich finde mich dabei immer ein bisschen komisch. Ich gehe dabei mit dem, der ich bin, spielerisch um, das macht es leicht.

Beim tragischen Auftritt hingegen fehlt das Spielerische, das macht es schwer. Durch die Zuweisung der Schuld bzw. Ursache nach draußen, an Stellen, die man nicht ändern, oft nicht einmal beeinflussen kann, macht man sich zum Opfer und leidet dann noch mehr als sowieso schon. Das Leben ist dann Schicksal, es ist mir geschickt worden, ich kann es nicht ändern, ach … wie tragisch.

Entscheidungsfreiheit

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich möchte hiermit niemanden beeinflussen, das Anliegen dieser Darstellung ist reiner Selbstzweck. Möge sich als tragisch empfinden, wer das will. Möge sich oder mich als komisch empfinden, wer das will. Ich plädiere hier nur für die Entscheidungsfreiheit, sich so oder so darzustellen, sei es als tragisch oder als komisch. Freiheit geht mir über … äh, fast alles. Die reine Ursachenzuweisung nach innen, wie die Spiris sie mögen, ist nicht so mein Ding, das finde ich einseitig. In manchen Situationen ist es wirklich angemessen von Schuld zu sprechen und zum Beispiel zu sagen, dass ein Mensch einen anderen dies oder das angetan hat, und für das Opfer ist das dann tragisch.

Die Freiheit des Narren

Wenn das Opfer sich bei einem Angriff auf seine Souveränität aber der Freiheit bewusst wird, sich selbst auch als Figur zu verstehen, die innerhalb des von der Außenwelt gegebenen Rahmens Spielräume hat – Räume zum Spielen, um auch mal eine andere Haltung auszuprobieren, ein anderer zu sein –, dann ist damit was gewonnen. Es ist ein Gewinn an Freiheit – und Komik. So wie wenn dem im Rollstuhl in einer Schlange Wartenden angeboten wird, ihn nach vorn zu lassen, und er das vergnügt grinsend kommentiert: »Nicht nötig, immerhin habe ich einen Sitzplatz«.

Anscheinend hat Freiheit etwas mit Komik zu tun. Schließlich ist der Joker im Kartenspiel die freieste Karte: Er kann überall hin, überall passt er. Er ist ein Chamäleon, er kann sich anpassen und dabei die Farbe seiner Umgebung annehmen, er kann zu dem werden, was von ihm erwartet wird, und dann doch blitzschnell umschwenken und wieder ein anderer sein. Deshalb wurden Gaukler, Narren, Schauspieler und Clowns seit je für gefährlich gehalten und galten in früheren Zeiten und Kulturen nicht als seriöse Bürger der Gesellschaft.

Die Weltkarriere des Smileys

Heutzutage wird das Flimmern der Identität akzeptiert, teils sogar gepriesen. Lachen zu können und viel zu lachen gilt als gut und gesund. Lachyoga hat sich über die ganze Welt ausgebreitet, und der Smiley ist zum universellen Symbol geworden, das inzwischen sogar häufiger verwendet wird als das Herz, dieses rot gefärbte Symbol mit diesen zwei schönen, runden Wölbungen, das, wie Leser der Connection-Tantra-Hefte wissen, einen ganz heißen sexuellen Ursprung hat, den ich hier im Connection Spirit nicht verraten darf. Und wenn nun das indische Namasté (»Ich grüße das Göttliche in dir«) oder das süddeutsch-österreichische »Grüß Gott« sich ebenso weltweit ausbreitet, dürfte der Erleuchtung der planetarischen Zivilisation eigentlich nichts mehr im Weg stehen.

Lachen ist nicht generell gut

Halt, stopp, nicht ganz so! Denn das mit dem Lachen hat noch eine dunkle Ecke. Lachen und Lachyoga gelten generell als gesund und sogar gut. Es kommt dabei aber auf die Einstellung an, meine ich und sage dies ganz unmissionarisch aus Gründen des reinen Selbstzwecks. Es kommt auf die Haltung an, wem oder was gegenüber man lacht, und worüber. Lachen ist ein mächtiger Baumeister sozialer Strukturen. Es grenzt die aus, die nicht zur Gruppe der gemeinsam Lachenden gehören, vor allem dann, wenn über sie gelacht wird, und es bindet die aneinander, die gemeinsam lachen. Es schafft also in den Gesellschaften soziale Einheiten, sowas wie in der Biologie die Zellmembranen, die ja Grenzen setzen zwischen außen und innen und vielzelliges Leben dadurch erst ermöglichen. Lachen ist nicht generell gut, sondern wir müssen da genauer sein, achtsamer und immer auch auf das Objekt des Lachens achten und auf unsere Fähigkeit dieses Objekt variieren zu können, bis hin zu der von den Lachyogis angestrebten Fähigkeit grundlos zu lachen.

Subjektivität

Nun noch ein paar Worte zu mir selbst, der mir hier die Ehre zuteil wird, in der historisch letzten Ausgabe von Connection als Experte zum Thema Tragik und Komik zu sprechen. Als Rainer Selbstzweck habe ich mich aus einer anderen Persönlichkeit herausgeschält, ich habe mich gehäutet. Namen von Rudeltieren oder sowas wie »wohl gegangen« finde ich für mich inzwischen als sehr einschränkend und insofern nicht mehr angemessen. Wir Menschen sind doch Identitätsreisende, wir entwickeln uns! Als solcher bin ich nun ganz bei mir selbst angekommen, als reiner … äh, Rainer Selbstzweck. Ich habe verstanden, dass ich die Mitte des Universums bin – du übrigens auch! Jeder von euch. Und all meine Liebe und Hinwendung zu den Menschen und Tieren, zur ganzen Umwelt, resultiert aus dieser Subjektivität.

Anatta

»Sei doch mal ein bisschen objektiver!« Warum wollen Menschen nur immer und immer wieder objektiv sein? Ich bin mit meiner Subjektivität zufrieden. Dass ich »da draußen« Objekte wahrnehme, mal mehr, mal weniger realistisch, das ist doch eh klar. Die Perspektive ist dabei das Entscheidende, und dass der Standpunkt, auf dem ich stehe, während ich in die Welt hinausschaue, die Fläche, von der aus ich da schaue, dass die eine Addition oder gar Fusion aller meiner blinden Flecken ist. Möge diese Fläche optimal klein sein und als mich selbst erkennender Mensch gegen Null gehen! Und das ist es auch schon, was die Großen, Heiligen und Weisen aller Zeiten und Kulturen mit dem Selbst, dem Zeugen, dem Nicht-Ich (Anatta) oder der zu Lebzeiten immer nur annäherbaren Erleuchtung meinten. Alles klar? Vom Standpunkt des reinen Selbstzwecks aus gesehen, müsste das eigentlich klar sein.

Das träge Ich

Und damit ist es auch komisch und zugleich tragisch. Komisch ist es, weil die Ich-Konstruktion wandelbar ist, und tragisch, weil wir nie völlig vergangenheitslos, spontan, perfekt adäquat einer Situation hingegeben sind, sondern wir sind immer beheimatet in einer Ich-Struktur mit suboptimaler Flexibilität, sagen wir ruhig: mit einer gewissen Trägheit. Und was nicht perfekt flexibel ist, chamäleonartig anpassbar, das muss sterben, immer wieder sterben. Tragisch, oder? Deshalb haben die Buddhisten so ein Ding mit der Anhaftung, und ihr Guru, der Buddha, hat das Leben zum Leiden erklärt. Es ist nur die Trägheit der Ich-Konstruktion, die das Leben zum Leiden macht.

Werde komisch!

Damit bin ich auch schon beim Fazit dieses genialen Artikels angekommen: Werde komisch! Das flexibilisiert die Ich-Konstruktion, deine Ich-Konstruktion, und macht dein Leben damit leidfreier. Dass ein Ritzer in der Haut oder ein entzündeter Zahn dann immer noch weh tut, dem lässt sich mit diesem Trick nicht beikommen. Es hört dann aber jedwedes psychische Leiden auf, das ja daraus resultiert, dass irgendwer dich für einen anderen hält als du denkst, dass du bist. Oder dass irgendeine Situation von dir etwas anderes zu fordern scheint als du denkst, dass du, als Held deines Lebens, leisten kannst oder leisten solltest.

Wenn solches Leiden wegfällt, das ist schon eine ganze Menge, finde ich. Die Zahnschmerzen lassen sich dann, in einer Art rainen Betrachtung derselben. viel leichter ertragen.

Rainer Selbstzweck, Jg. 52, Studium des Lebens und der menschlichen Eigenarten, Scharlatan-Meister (10. Dan, Schwarzgürtel), Cardio-Sakral-Practitioner und Initiat in den Pseu-Weg (koreanisch pseudo), info@connection.de