Über sich selbst lachen zu können, ist der Zen-Weg des Westens

Die Gottesbilder der meisten spirituellen Richtungen hinterlassen oft das Gefühl, der Schöpfer des Universums besäße den Horizont eines verknöcherten, verklemmten Provinzpfarrers. Witze über Religion? Pfui Teufel, da ist Gott gleich tief beleidigt und verkündet ewige Verdammnis. Ist es aber nicht eher so, dass mit der Evolution des Bewusstseins sich das Spektrum dessen weitet, was wir noch tolerieren und liebevoll belächeln können? Lachen können über Heiliges, über Beängstigendes, Lachen können vor allem über sich selbst – wer das kann, ist frei von Ideologien und Selbstkonzepten. Der echte Weise wäre demnach nicht an seiner düsteren Miene und dem stechenden Blick zu erkennen, sondern an seinem entspannten Lachen, mit dem er den kosmischen Witz unserer Existenz durchschaut.

Sage mir, worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist!
Was für eine Welt wäre das, wenn sich unsere Politiker gegenseitig aufziehen würden bis zum Gehtnichtmehr, anstatt aus Wut über eine Beleidigung einen Krieg zu beginnen
Der ultimative Humortest: Du darfst lachen über jeden Aspekt von mir
Wenn die Jünger nach der Provokation entrüstet aufschreien, handelt es sich nicht um eine »Große Lehre«, sondern um einen normalen Regelkodex

Als Kind feierte ich manchmal mit meinen Schwestern Lachorgien. Anlass konnte irgendetwas sein: die dumme Geste des einen, der verpatzte Versuch eines anderen; ein Glucksen löste ein Kichern ab, wir wurden lauter und hemmungsloser; bald hielten wir uns die Bäuche, und nichts schien mehr ernst, nichts konnte uns mehr bremsen. Das fortdauernde Lachen löste uns, wir wollten immer mehr davon. Längst lachten wir nicht mehr über den Anlass, sondern nur noch aus purer Lust. Es fühlte sich so gut an! So wollte ich mich immer fühlen. So lachen zu können, über jeden und alles, das wär’s! Ich nahm mir vor, dies auch als Erwachsener nicht zu vergessen und die Komik des Lebens zu entdecken, dann würde ich mich immer so leicht fühlen wie jetzt und mich nie mehr ängstigen vor irgendetwas. Das Leben könnte so leicht sein und so lustig! Wenn da nur nicht die Erwachsenen wären, die einem immer beibringen wollen, alles so ernst zu nehmen.

Der Lieblingswitz

Ich ging nicht gern zur Schule, und was ich noch weniger mochte als alle anderen Fächer, war den Deutschunterricht. Besonders die Literatur-Interpretationen waren mir zuwider. Die meiste Pflicht-Lektüre las ich nie, sondern fragte meine Mitschüler nach den Inhalten und mogelte mich so durch. Als es ans Referate-Halten ging, wählte ich das Thema aus, das mir am wenigsten seriös erschien: der Witz als literarische Kurzform.
Das sieht nun so aus, als wäre ich ein leichtherziges, fröhliches Kind (und junger Erwachsener) gewesen, immer ein Lächeln auf den Lippen, immer zu einem Scherz bereit. Keineswegs. Ich war introvertiert und schüchtern und sehr oft melancholisch. Die witzige Seite des Lebens zu bevorzugen, war für mich eine Flucht in ein Land, in dem es heiterer war als dort, wo ich wohnte. Wie ich aber in dieses Land gelangen sollte, das wusste ich nicht.
Als Student fiel mir ein Buch in die Hand mit dem Titel »Rationale of the Dirty Joke« (auf Deutsch ungefähr: Logik des schmutzigen Witzes). Dort fand ich eine Stelle, an der es hieß, jeder Mensch habe einen Lieblingswitz, und der sei der Schlüssel zu seinem Charakter. Der Autor nannte als Beispiel eine Frau, die ein Bein amputiert bekommen hatte und nun eine Prothese trug. Ihr Lieblingswitz war einer, bei dem ein Igel versehentlich ein Nadelkissen vögelte anstatt einer Igelin, und die Pointe hieß »Jeder kann sich mal irren«. Die Interpretation des Autors war, dass die Frau ihr Kernproblem, dass sie als beinamputierte Frau nicht mehr attraktiv sei, mit diesem Witz zu verarbeiten suche. Der Witz gab ihr das Gefühl, ihrem Makel nicht mehr ausgeliefert zu sein, sondern darüber zu stehen. Sie konnte darüber lachen.
Das machte mich höchst neugierig und zugleich verlegen. Neugierig, weil ich schon immer Menschen auf die Schliche kommen, sie verstehen wollte, ich wollte ihr »Kerncharakteristikum« kennen lernen – vielleicht, um mich nicht mehr vor ihnen fürchten zu müssen. Verlegen war ich, weil das ja heißen musste, wenn jemand meinen Lieblingswitz erfahren sollte, wäre ich durchschaut. Was aber ist mein Lieblingswitz? Fieberhaft forschte ich danach. Einer ging so: Ein protestantischer Pfarrer, ein katholischer Priester und ein Rabbi vergleichen, wie sie mit der Kollekte umgehen. Der Pfarrer: »Ich zeichne einen Kreis auf den Boden, werfe das Geld hoch, und was in den Kreis fällt, ist meins, was außerhalb runterfällt, ist Gottes, es bleibt in der Kirche.« Der Priester: »Das mache ich ganz ähnlich, nur umgekehrt. Was außerhalb runterfällt, ist meines, was in den Kreis fällt, gehört der Kirche.« Daraufhin der Rabbi: »Auch bei mir ist es nicht viel anders. Ich werfe das Geld hoch, und was Gott fangen kann, ist seins.« Was sagt das über mich aus? Dass ich keinem Klerus traue? Dass ich den so erfrischend diesseitigen Umgang des Rabbi mit dem Transpersonalen schätze – oder dass ich die raffinierte Geldgier des Juden kritisieren will?
Ich hatte zu verschiedenen Zeiten verschiedene Lieblingswitze – vielleicht habe ich ja verschiedene Kerncharakteristika. Bei immerhin einem dieser Witze ging es um Beziehung. Wilfried will seiner aktuellen Freundin eine Liebeserklärung machen und sagt: »Bei all den anderen war es immer so, dass sie schön waren, reich oder intelligent. Bei dir aber ist es die reine Liebe.” Die Interpretation: Ich suche nach dem wahren Wesen meiner Geliebten, jenseits der Form (Schönheit, Reichtum, Intelligenz), die ich für oberflächlich halte. Der Witz liegt natürlich darin, dass ich sie im gesamten Diesseits ohrfeige, während ich ihr doch eine (transzendentale) Liebeserklärung machen will.
Ein dritter meiner Lieblingswitze zeigt meine Haltung zum Thema »Heilung«, zumindest zur Schulmedizin: Ich gehe mit meinem Leiden zum Arzt – der will auch leben. Dort lasse ich mir ein Rezept verschreiben und gehe damit zur Apotheke – auch der Apotheker will leben. Zu Hause werfe ich das Medikament weg – ich will auch leben.

Des Pudels Kern

Ob es »das Hauptcharakteristikum« eines Menschen überhaupt gibt, wer weiß? Sicher ist wohl nur, dass die Lieblingswitze eine Menge aussagen über einen Menschen. Sage mir worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist! Personalleiter der Firmen und Schulen, hier ist mein heißer Tipp: Fragt die Kandidaten im Vorstellungsgespräch nach ihrem Lieblingswitz, anstatt so viel auf den Lebenslauf und die (vorgetäuschten) Hobbys zu geben …
Der georgische Mystiker und spirituelle Lehrer Gurdjieff ging anders vor, wird berichtet: Er machte die Leute besoffen, die seine Schüler werden wollten. Im Suff zeigten sie dann, wer sie wirklich waren; davon jedenfalls war Gurdjieff überzeugt. Oder ist es eher so, wie mein Kollege Roland meint, dass man manche spirituellen Lehrer nur besoffen erträgt? Jedenfalls verändert der Rauschzustand einen Menschen und zeigt ganz andere Seiten seiner Persönlichkeit.

Foppen bis zum Gehtnichtmehr

Im März 1980 reiste ich als junger Sannyasin mit einer Gruppe von Freunden nach London, wo wir halfen, das »March Event« zu organisieren. Die Toptherapeuten des Ashram in Poona, dem »Esalen des Ostens«, traten erstmals geballt im Westen auf, in einem Hotel in Zentral-London, vor etwa zweitausend zahlenden Gästen. Es war das erste Event seiner Art und blieb auch das einzige. Hier traf ich in einer Pause auf ein Grüppchen dieser Therapeuten und erlebte, wie sie sich gegenseitig aufzogen. Jeder versuchte den anderen auf die Schippe zu nehmen. Dabei schaukelten sie sich hoch und frotzelten sich auf immer krassere Weise an. Es sah aus wie ein Wettkampf, ein gegenseitiges Testen der Humorfähigkeit. Mir blieb die Spucke weg, wie diese »Großen«, die ich bewunderte, sich gegenseitig unter schallendem Gelächter angriffen. Wer dabei gewann, war kaum zu beurteilen. Vielleicht war es ja auch eigentlich kein Wettkampf. Alle schienen dabei jedenfalls grandiosen Spaß zu haben. Ob sich allerdings der eine oder die andere danach, allein auf dem Zimmer, vielleicht doch die Wunden geleckt hat? Ich weiß es nicht.
Ich wünsche mir eine solche Szene auch unter den Politikern (Terroristen inklusive), die uns regieren. Lassen wir doch Bush, Kim Il Sung und ihre jeweiligen Gegner ebenso wie die politischen Führer von Pakistan und Indien oder die Clanchefs in Afrika zu einem solchen »Humorwettkampf« antreten und sich dabei gegenseitig aufziehen mit ihren jeweiligen fundamentalistischen Macken! Was für ein Segen wäre das für die Welt, wenn sich die Mächtigen so anfetzen würden, anstatt aus Wut über eine vermeintliche Beleidigung im Feindesland einzumarschieren oder eine Atombombe zu zünden.
Das Prinzip eines solchen Humorwettkampfs ist: Wer am längsten lachen kann, hat gewonnen. Wer bei einem persönlichen Angriff ernst wird und beleidigt oder verletzt reagiert, ist bei einem Hangup, einer persönlichen Macke, erwischt worden und hat verloren. Der Test besteht darin, zu prüfen, wie weit einer seine Persönlichkeit schon losgelassen hat, über sich selbst hinaus gewachsen und »nicht mehr zu kriegen« ist.
Heute, gut zwanzig Jahre später, hat diese Praxis mich hier im Connectionhaus erwischt, wo ich mit ungefähr sieben anderen Menschen wohne und mit den meisten von ihnen auch arbeite. Wir machen »es« vor allem beim Mittagessen: Carola, Anup, Roland und ich, manchmal sind auch noch Gäste dabei. Wir ziehen uns gegenseitig auf bis zum Gehtnichtmehr. Bis einer aussteigt, weil uns keine weitere Übertreibung mehr einfällt oder es dem Gefoppten zu viel wird. Gerade wenn ein schweres, konfliktträchtiges Thema auftaucht – wir leben hier immerhin zusammen in einer Art Gemeinschaft –, ist das ein Mittel der Befreiung: Wir ziehen den anderen so lange auf, mit unseren unverschämten Erwartungen, Unterstellungen, Beleidigungen und Ansprüchen, mit dem, was uns halt so einfällt, bis »es« raus ist. Die Luft raus ist, der Ärger, die Erwartung, die Illusion, das Bild vom anderen, mit dem wir herumgelaufen sind. Dabei gilt nicht »anything goes«; die maximale Freiheit, den andern zu beleidigen, fordern wir nicht voneinander, aber wir staunen, wie weit wir dabei gehen können und wie befreiend es ist, so miteinander umzugehen.

Lachen als spiritueller Weg

Wenn Lachen befreit – wenn es uns von unseren persönlichen Macken, unseren Hangups befreit –, dann eignet es sich als spiritueller Weg, als Methode, zu sich zu kommen. Brauchen wir dann keine Retreats mehr und keine Exerzitien, kein Zölibat (beziehungsweise Tantra-Rituale) und keine Yoga-Asanas, sondern genügt es, über uns selbst zu lachen? Eigentlich ja, aber …
Erstens gibt es eine Art von Lachen, die aggressiv ist (im engeren Sinne) und sich ein Lachobjekt aussucht ohne das Bewusstsein, dass der Lachende dabei über sich selbst lacht. Man lacht über den dummen Clown, der vom Stuhl fällt, ohne dass sich der Lachende dabei der eigenen Unbeholfenheit bewusst ist. Man lacht über die dummen Ausländer, die so schlecht Deutsch sprechen, und vergisst dabei, dass kaum einer von uns eine zweite Sprache so gut spricht wie diese »Ausländer«. Witze verspotten eine Eigenschaft, die der Lachende (meistens) selbst in sich nicht ganz akzeptieren kann und die er deshalb nach draußen projiziert, auf ein Spottobjekt. Das können Tiere sein (der Igel, siehe oben: der Dumme hat das Nagelkissen für eine Artgenossin gehalten), Berufsgruppen (Treffen sich zwei Therapeuten: »Wow, dir geht’s ja gut – und wie geht es mir?«), das andere Geschlecht und so weiter. Sogar Gegenstände werden von uns menschlich beseelt: Zwei Planeten im Weltall sehen sich nach langer Zeit wieder: »Oh je, du siehst ja gar nicht gut aus, was ist nur los mit dir?« – »Ich habe homo sapiens.« – »Ach, wenn’s weiter nichts ist: Das geht vorbei!«
Zweitens grenzen wir gerne Bereiche aus, über die »man keine Witze macht«. Das sind oft religiöse Angelegenheiten (da werden dann »religiöse Gefühle verletzt«, und die Sache endet vor dem Richter) oder politisch delikate Themen. Man sollte die Hangups und Empfindlichkeiten des anderen nicht verspotten, wenn er Macht über einen hat und sich für den Spott rächen könnte: Ein der PKK-Mitgliedschaft verdächtigter Kurde, der von den Schergen der türkischen Geheimpolizei gerade abgeführt wird, ist gut beraten, an dieser Stelle keinen Witz über die Großtürkei zu machen, der »spirituelle Weg« dieses Witzboldes könnte in der Folterkammer enden.
Lachen als spiritueller Weg setzt also zweierlei voraus: Erstens das Bewusstsein, dass man immer über sich selbst lacht. Zweitens ein Feingefühl im Umgang damit, wem gegenüber man Witze machen darf, wann und worüber.

Schluss mit lustig!

Wenn man das Lachen, den Humor, zu seinem spirituellen Weg macht: Wie weit darf man da gehen? Sollen wir es uns verbieten, über »gewisse Dinge« zu lachen? Was ist zum Beispiel mit Gerhard Haderer – hat er die Grenzen verletzt mit seinen Cartoons über Jesus? Oder mit Gerhard Mester, der bei uns und in »Publik Forum« so grandios gute Witze über religiöse Themen macht.
Meinem Verständnis nach ist der Sinn der spirituellen (und religiösen) Wege die emotionale, geistige und seelische Befreiung des Menschen. Jeder dieser Wege tut das auf seine eigene, geschichtlich geprägte Weise. Wenn ein Gebäude von Gedanken, Überzeugungen, Kultformen und Institutionen diese »Befreiung« (Sanskrit: »moksha«) nicht ermöglicht – theistisch gesprochen »die Erkenntnis Gottes« –, dann sollten wir dieses Gebäude nicht »spirituell« nennen, sondern Ideologie, Pseudoreligion, Kult, Verein zur Förderung von was auch immer.
Triffst du Buddha unterwegs, heißt es im Zen, töte ihn! Triffst du auf deinem spirituellen Weg irgendwelche Verbote, über etwas oder jemand lachen zu dürfen, wirf sie über den Haufen! Das Lachen kann deine Erkenntnis von Jesus vertiefen, indem es das Wesentliche freilegt – und wenn es das nicht tut, dann schau halt nicht hin auf diese unverschämten Cartoons und bete dein Vaterunser weiter wie bisher.
Das Wissen um den mystischen Kern der Religionen verstehe ich nicht als Aufforderung, das zu verurteilen, was an ihnen nicht mystisch, spirituell oder im eigentlichen Sinne religiös ist. Ethische Regeln festzusetzen und ihre Übertretung zu sanktionieren, karitative Institutionen zu betreiben, die den Armen und Benachteiligten helfen, und alles das, was Religionen sonst noch so tun, hat seinen – sozialen – Sinn. Eine Aufgabe der Religionen aber unterscheidet sie von den sozialen, juristischen, karitativen oder philosophischen Institutionen: Sie eröffnen einen Weg der Rückkehr des einzelnen Ichs in seine Heimat, das Ganze.

Wer lacht denn da? Über wen?

Humor heißt, über sich selbst lachen zu können. Wer das kann, hat diesen Weg in die Heimat bereits angetreten. Wer in jeder Hinsicht über sich selbst lachen kann, ist zu Hause angekommen und frei, völlig frei. Mehr kann ein spiritueller Weg nicht leisten.
Wer über jeden Aspekt von sich lachen kann, ist frei, das ist meine Definition von Freiheit. Das Gute daran: Diese Definition ist nicht abstrakt; diese Art von Freiheit lässt sich testen. Die AUM-Meditation des Drogen- und Körpertherapeuten Veeresh, die Encounter-Gruppen der Humanistischen Psychologie, die aus Kalifornien stammenden Enlightenment Intensive Workshops oder das Gefrotzel bei uns im Connectionhaus testen diese Freiheit. Wer jeden Aspekt seiner Persönlichkeit »äußern« und damit an den Pranger stellen, dem Gelächter der anderen preisgeben kann, ist frei. Da muss dann nicht einmal einer daherkommen, der einen testet: Jeder Moment des Lebens testet, ob wir genügend Humor haben, uns als komische Figur inmitten von all dem zu sehen. Wer sich so sehen kann, als Narren (Europa) oder tanzenden Shiva (Indien), hat jede Rechthaberei überwunden und ist wirklich frei.
Europa hat keinen Zen entwickelt und keinen Taoismus. Dafür haben wir den Narren, der alles sagen durfte, weil er keine feste Rollenvorschrift hatte, die ihn begrenzte. Der Hofnarr des Mittelalters und der absolutistischen Höfe und der Narr aus dem Tarot und der europäischen Esoterik waren insofern Rollenlose, sie verkörperten den Niemand, den Weisen. Schon am Hof des alten Ägypten trat der Narr auf und erlebte im europäischen Hochmittelalter seine Blütezeit. Als Joker (Spaßmacher) kann er im Kartenspiel jeden Platz einnehmen und ist als solcher die stärkste Karte! Konsequenterweise pflegten (bigotte) Christen diese rollenlosen Narren und Schauspieler nicht auf dem Kirchenfriedhof zu beerdigen, sondern ließen sie irgendwo außerhalb des Dorfs verscharren.

Der offene Raum und die Gewächshäuser

Als ich vor zwanzig Jahren in München offene Encounter-Gruppen leitete, wollte ich die Freiheit, und zwar sofort. Wer sich versteckte, war für mich ein Feigling. Heute gehe ich anders damit um. Ich gestehe jedem (und mir selbst) Schutzräume zu, Gewächshäuser, in denen wir uns dem Gelächter der anderen nicht aussetzen. Erst wenn ein Mensch sich aus freien Stücken äußert, sich in Gesellschaft der Spötter begibt, um seine Freiheit zu testen, finde ich das Gelächter legitim, und auch dann rate ich jeder »lachenden Sangha«, sensibel miteinander umzugehen und sich gegenseitig zu schonen. Sonst tendiert diese Praxis unvermeidlich dazu, das sich jeder ein dickes Fell zulegt und seine Schwächen verbirgt, oder man täuscht ein freies Lachen über sich selbst vor, während man den Angreifer insgeheim verflucht und Rachefantasien entwickelt: So wie du dich heute über mich lustig gemacht hast, na warte, so werde ich morgen über dich herziehen!
Zu einer »lachenden Sangha« gehört allemal ein flexibles Persönlichkeitsbild. Wer ich bin, ist gestaltbar und ständiger Veränderung unterworfen. Wer ich gestern war, ist heute vielleicht schon überholt. Es gibt unendlich viele Schichten der Persönlichkeit, der Ambivalenz, Multivalenz oder Multiphrenie. Unsere Persönlichkeit besteht aus vielen Teilen. Der eine Teil ist humorvoll, der andere todernst. Der eine Teil von mir lacht über den anderen. Wer aber bin ich? Ich spotte mit meinen Freunden über meine eigene Vergesslichkeit, eine Stunde später aber fühle ich mich verletzt und reagiere mit Bosheit: Wie konnten sie sich erdreisten, so mit mir umzugehen!
Eine weitere Falle auf dem »Weg des Humors« ist der humorlose Umgang mit dem Humor. Sich selbst für humorvoller zu halten als andere, wie arrogant! Andere für witziger zu halten als sich selbst, wie erniedrigend! Wer lernen will, über sich selbst lachen zu können, möglichst noch in jeder Hinsicht (oho!), lerne, sich auch in dieser Hinsicht nicht so ernst zu nehmen. Sonst sind die, die keinen Spaß verstehen, bald die Sünder dieser neuen Religion.

Nieder mit den Humorlosen!

Als gebranntes Kind bete ich jeden Abend zu Gott: Verschone uns vor den Erleuchtungsstrebern wie auch den Humorterroristen! Lass uns lachen auch über unsere Versuche, das Lachen zu erlernen. Lass uns gnädig sein, wenn einer mal keinen Bock hat auf Witze – vergewaltigen wir ihn nicht. Kaum etwas nervt mehr als die ständigen Witzeleien der Jünger des Humor-Weges mit ihrer Humorlosigkeit auf höherer Ebene, nämlich in Bezug auf den eigenen (Humor-) Weg. Verschone uns vor diesem Fundamentalismus: »Humor ist gut! Nieder mit den Humorlosen!« Für einen echten Jünger des Humors ist jede Humorlosigkeit, jeder Widerstand ein gefundenes Fressen oder eine Ergänzung. Die tragische Sicht des Lebens (»Alles endet.«) ist der komischen Sicht (»Über alles kann man lachen.«) nicht unterlegen, sondern ergänzt sie, und auch die resultierende Tragikomik fordert wieder eine neue Antithese heraus.

Echte Mystik versus »kleine Lehren«

Vor ein paar Jahren fand ich in einer Zeitschrift aus den USA eine Anzeige für einen »Entleuchtungsworkshop«. Nach all den Erleuchtungslehren, was für eine Wohltat! Dabei war mir klar: Wer den Eingang kennt, findet wohl auch den Ausgang. Wer weiß, wie man seine Erleuchtung verliert, weiß auch, wie man sie gewinnt. Ein Workshop, in dem es nicht darum geht, wie man heilig, fromm oder weise wird, sondern das Gegenteil: dumm, verschlossen, rechthaberisch und unsensibel – was für eine Befreiung! Und was für ein Witz: der Eingang durch die Hintertür.
Mahamudra (»Große Geste«) wurden die mystischen Lehren im tibetischen Buddhismus genannt, in denen man eine Behauptung umkehren kann, ohne damit ihren Wahrheitsgehalt zu verletzen. »Ja« heißt hier auch »nein«; »nichts« bedeutet dasselbe wie »alles«. »Ich habe keine Ahnung« heißt »ich weiß alles« und umgekehrt. Ich bin der Buddha, ich bin ein Scharlatan. Ich bin Gott, ich bin der Teufel … alles das ist wahr und auch wieder nicht. Das Unbewusste kennt keine Negation, sagt man im Neurolinguistischen Programmieren (NLP), und die höchste Weisheit gewiss auch nicht. Hier zählt, worauf man seine Aufmerksamkeit richtet, ob man ein Ja oder Nein davor hängt, ist egal.
Ganz anders die Ebene der Tatsachen, das Diesseits: Hier ist die Tür entweder offen oder zu. Hier gelten ethische und karmische Regeln. Auf der transpersonalen oder selbstreferentiellen Ebene aber gilt eine Behauptung und zugleich ihr Gegenteil.
Welche Lehre ist nun eine »Große« und welche eine »kleine«? Der Witz-Test kann es herausfinden: Behaupte von allem das Gegenteil! Wenn die Jünger dann entrüstet aufschreien (und nicht nur so tun, als würden sie entrüstet aufschreien, um ihre Ethik zu retten), dann handelt es sich nicht um eine “Große Lehre”, sondern um einen normalen Regelkodex, der durchaus seinen sozialen Sinn haben kann und insofern sehr wertvoll sein mag, aber eben nicht um echte Mystik.

Witze über den Tod

Über den Tod spricht man nicht, und darüber macht man auch keine Witze. Wer jedoch über seinen eigenen Tod lachen kann, wenn er denn dann so weit ist, kann über alles lachen. Vorher können wir schon mal üben: »Wusstest du schon: Den alten Jonas hat der Tod gestern Nacht im Schlaf überrascht!« – »Wie schrecklich! Dann weiß er also noch gar nichts davon!« Oder etwas deftiger, der sprichwörtliche Galgenhumor: Rick von der Todeszeile erfährt am Sonntag, dass er schon morgen, am Montag, hingerichtet werden soll, und antwortet mit einem Seufzer: »Na die Woche fängt ja gut an …« Wer weiß, dass es eh bald zu Ende ist, hat nichts mehr zu verlieren und entsprechend gut lachen. Wobei das für uns eigentlich auch nicht viel anders ist: ein Tag, ein Jahr, ein Leben, dann sind auch wir dran.
Und ich? Buddha ist tot, Jesus wurde gekreuzigt, Al Hallaj wurde gevierteilt, nachdem er sagte: »Ich bin die Wahrheit«, Galileo starb als blinder Gefangener der Kirche, Einstein erlebte den Nachweis seiner allgemeinen Relativitätstheorie nicht mehr, und mir geht es nach Abfassen dieser Humortheorie auch schon ziemlich schlecht.

Literatur:
Georg Haderer, Das Leben des Jesus, Carl Ueberreuter Verlag 2002
G. Legman, Rationale of the Dirty Joke. An Analysis of sexual humour. Als Taschenbuch bei Panther, 1972. Auf Deutsch erschienen bei Hoffmann und Campe, Hamburg 1982; vergriffen.
Idries Shah, Die fabelhaften Heldentaten des weisen Narren Mulla Nasrudin, Herder 2001